© Hildegard Schaefer
Weihnachtsfarbe
Der Adventskranz beginnt bereits zu nadeln. Ich schmücke ihn ab, lege die roten Kugeln und das rote Lametta in den Karton. Damit gehe ich in den Keller, stelle ihn oben rechts in das Regal, nehme mit leichtem Widerwillen den Karton von unten links und trage ihn in die Stube. Den Kranz lege ich draußen auf den Verandatisch, das Grün mit den roten Kerzenstummeln passt wunderbar zu dem weißen Schnee.
Mein Mann bringt die Nordmanntanne herein. Er geht in die Garage, kramt dort herum und lässt unsere Tochter Karin und mich den Baum schmücken. Anna, meine vierjährige Enkelin, rutscht auf den Fliesen herum und spielt mit kleinen Autos. Karin öffnet den Karton und klappt ihn gleich wieder zu.
„Mama, ich verstehe dich nicht. Warum machst du das noch immer? Dein Vater ist schon ein paar Jahre tot. Du liebst doch roten Weihnachtsschmuck, das weiß ich.“
Mit einem Seufzer beginne ich auszupacken. „Ach Kind, das ist unsere Tradition. Mein Vater, sein Vater und die Väter davor haben es so bestimmt. Solange wir die weißen Porzellankrippenfiguren haben, solange kommt keine andere Farbe auf den Baum als weiß, das ist nun mal so.“
Wir schmücken den Baum mit weißem Engelhaar, weißen Kugeln, weißen Sternen und Karin hebt vorsichtig den weißen Josef aus der Schachtel. Ich erinnere mich, dass ich damals als Kind die Mutter Maria fallen ließ. Ich bekam eine Tracht Prügel. Meine Mutter hatte bereits einige Jahre vorher den Esel fallen gelassen, das erzählte mein Vater regelmäßig zum Fest. Josef stand seitdem als Alleinerziehender unter dem Weihnachtsbaum, er sah etwas verloren aus. Als ich meinen Vater einmal fragte, wo denn die anderen Figuren geblieben wären, außer dem Esel gäbe es doch noch einen Ochsen und Hirten, gab er mir zur Antwort: „Weiber, die machen alles kaputt. Das fing schon mit meiner Oma an. Die hatte die Hirten und meine Mutter dann den Ochsen auf dem Gewissen, du bist ja auch nicht viel besser“, zuckte er mit den Schultern.
„Du schmückst ja auch nie“, wurde ich laut.
Nachdem meine Eltern nicht mehr waren, hielt ich die Tradition in unserem Hause aufrecht. Ich pflegte Papa‘ Andenken, indem ich tapfer jedes Jahr die beiden letzten Figuren unter dem weißgeschmückten Baum stellte, bis meine Tochter das Jesuskind fallen ließ mitsamt der Krippe. Ich tröstete sie, so gut ich konnte, zum Glück musste mein Vater das nicht mehr erleben.
Karin wurde jedes Jahr wieder daran erinnert, wenn der Josef einsam unter dem Baum stand, überflüssig jetzt ohne Frau und Kind.
Ich erfuhr nie, wie diese weißen Krippenfiguren in unsere Familie kamen, ob sie gekauft, vererbt, geschenkt wurden, ob sie wertvoll waren, sie gehörten einfach zum Weihnachtsfest dazu, fanden ihren Platz unter dem grünen Nadeldach.
„Vorsicht, Anna!“, ich schreie, sehe das Spielzeugauto unter dem Baum rasen. Es klirrt laut, ich halte mir die Ohren zu. Der Josef! Stille! Stille wie im Winterwald.
„Mama, Oma, tut mir leid, seid mir bitte nicht böse“, weint Anna und flüchtet sich in die Arme ihrer Mutter. Sie wagen nicht, mich anzuschauen. Weißes, zerbrochenes Porzellan liegt unter dem Baum, der Josefkopf schaut fromm nach oben. Ich fege die Stücke zusammen und schaue sinnend auf die Scherben. Ich bringe sie nach draußen und lasse sie klirrend in die Mülltonne fallen.
Zurück in der Stube empfangen mich zwei Paar furchtsame Augen. Ich klatsche in die Hände: „Hurtig, hurtig, Kinder, nehmt alles Weiße ab. Karin, geh in den Keller, hol‘ den Karton von oben rechts aus dem Regal; wir hängen die roten Kugeln, das rote Lametta und den anderen roten Schmuck in den Baum, damit er endlich wie ein richtiger Christbaum aussieht.
Frohe Weihnachten!“