Oma Hildegards merkwürdige Geschichten?

Hildegard Schaefer

Biographie

Hildegard Schaefer wurde 1949 in Lauenburg geboren und lebt seit 1954 in Buchholz / Nordheide

Seit 2003 istsie Mitglied bei den Freien Deutschen Autoren, vorher und jetzt ist sie Teilnehmer in verschiedenen regionalen Schreibgruppen, hält Lesungen, gibt Workshops und ist mit Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien vertreten.

Hildegard ist Mitglied in der AWO-Buchholz

Sie schreibt uns alle 4 Wochen eine neue Geschichte.
(um den fünfzehnten des Monats)

© Hildegard Schaefe 15/3/25

Rote Wollknäuel

Ich mochte Oma eigentlich erst, als sie tüdelig wurde. Vorher, wenn ich sie besuchte, musste ich immer etwas lernen. Bevor ich zur Schule kam, las sie mir langweilige Lehrbücher vor und als ich Schulkind wurde, war es ganz aus. „Was habt ihr aufgehabt, wie gut bist du in Rechnen, Schreiben, lass uns mal sehen und dann üben wir.“

Ich erinnere mich noch, als ob es gestern wäre, wie Papa nach einem Telefonat mit ihr Mama sorgenvoll anschaute. „Oma verliert immer öfter den Faden beim Reden, ich glaube, wir müssen uns was einfallen lassen. Sie ist viel zu oft allein und unser Kind hat auch wenig Lust, sie zu besuchen. Wir sollten ihr eine Katze aus dem Tierheim holen.“

Ich nickte heftig: „Ich bin dann bestimmt öfter bei ihr. Katzen mag ich nämlich gerne.“

So kam ein kleiner, roter Kater in Omas Haus und ich war dann wirklich fast jeden Tag bei ihr. Wir nannten ihn Tino. Tino Begenholt passte gut, damit gehörte er zu unserer Familie, denn wir heißen auch Begenholt. Immer wenn ich meine Nase an sein Fell drückte, roch ich es: Wildheit. Animalische Wildheit. Etwas war an diesem Geruch, das mich süchtig machte. Dazu kam das Schnurren, das tief in meiner Seele etwas zum Vibrieren brachte, das genau zu diesem Geruch passte. Wenn ich Kummer hatte, weinte ich in sein Fell und die Tränen trockneten sofort. Der Geruch, das Schnurren und sein weiches Fell ließen mich getröstet zurück. Ich war wieder Herr meiner, seiner, unserer Welt.

Bei Oma gab es nun keinen Unterricht mehr, wir spielten mit der Katze und waren glücklich. Oma hatte dem Tier Wollknäuel zum Spielen gegeben und es war auch ein rotes dabei. Ich hatte ihr natürlich erzählt, dass sie öfter beim Telefonieren den Faden verloren hätte und wir ihr deshalb die Katze ins Haus brächten. Sie nickte nur und sammelte die Fäden, die überall im Haus die Wege versperrten, wieder ein. „Hauptsache, ich verliere nicht auch noch den roten Faden, der ist nämlich das Wichtigste.“

Ich war dann auch furchtbar traurig, als sie starb. Mama fand sie unten an der Treppe, ihre Füße waren in Wollfäden eingewickelt. Die Katze kam zu uns und darüber habe ich mich dann doch gefreut.

Das ist alles schon sehr lange her und ich erinnere mich gerade heute wieder daran, weil meine Tochter mich ansah und meinte, dass ich ganz schön tüdelig geworden wäre. Ich habe ihr daraufhin erzählt, dass ich auch viel zu oft alleine wäre und leider keine Enkel hätte, die mich besuchen könnten und sie wäre ja auch viel zu selten bei mir. Ich schlug ihr vor, dass sie mir einen Kater aus dem Tierheim holen solle, der würde meine Einsamkeit vertreiben, so war es jedenfalls bei meiner Oma gewesen. Zum Glück ist das Haus, das ich von meinen Eltern geerbt habe, ebenerdig angelegt. Ich könnte keine Treppe herunterfallen, wenn Wollknäuel mir den Weg versperren und ich habe außerdem vorgesorgt. Das passiert mir garantiert nicht, dass ich den roten Faden verliere, der ist schließlich das Wichtigste. Die ganze Nachttischschublade ist voller roter Wollknäuel die nur darauf warten, dass eine Katze damit spielt. Ich werde ihn auch Toni nennen, Toni Begenholt, dann gehört er zur Familie. Und dann werde ich an ihm riechen und werde wieder Herr meiner, seiner, unserer Welt werden. Der wilden, animalischen Welt. Ich werde mein Gesicht in sein weiches Fall vergraben und alles um mich herum vergessen. Ich muss nur noch die roten Wollknäuel finden, die darf ich nicht verlieren. Wo habe ich die bloß hingelegt? Gerade eben habe ich es doch noch gewusst.